Ein Zusammenprall, der ein Fußballspiel komplett ändert: Eine Stunde lang war der FC Normannia Gmünd chancenlos und lag gegen dominante Backnanger verdientermaßen 0:2 hinten, dann führte eine umstrittene Szene zum 1:2-Anschlusstreffer. Und plötzlich spielten die Gmünder mitreißenden Fußball, mit dem sie sich noch einen Punkt erkämpften.

War’s ein Stürmerfoul, von dem die Partie so auf den Kopf gestellt wurde? Nicht wenige Zuschauer in der tectomove-Arena, die Anhänger der TSG Backnang sowieso, sahen das so, als FCN-Spitze Felix Bauer und TSG-Torhüter Marcel Knauss zusammenprallten. Was man im Fußball „Tatsachenentscheidung“ nennt, sah so aus: Schiedsrichter Benjamin Kammerer pfiff nicht, und Marvin Gnaase nutzte die Gelegenheit, den Ball zum Anschlusstreffer ins kurzzeitig torhüterlose Gehäuse zu befördern (62.). Auch nach Diskussionen und der Beratung mit einem seiner Assistenten blieb der Schiri bei seiner Entscheidung: kein Foul.

Die Selbstvertrauen-Infusion

Auf die Gmünder wirkte das 1:2 wie eine hochdosierte Selbstvertrauen-Infusion – die sie dringend nötig hatten. 60 Minuten lang war die Normannia von den Gästen geradezu eingeschnürt worden: kaum eigene Chancen, viele Ballverluste und erzwungene Rückpässe sorgten für lange Gesichter bei den Gmünder Anhängern. Und zwei schön herausgespielte Tore der TSG durch Mario Marinic (29.) und Michl Bauer (53.) für einen 0:2-Rückstand, der absolut verdient war. Die Normannia-Fußballer schienen immer tiefer in Mutlosigkeit und Passivität zu versinken.

Dann plötzlich den Ball im Backnanger Netz zu sehen, war das perfekte Gegenmittel. Auch FCN-Trainer Holger Traub, der in der Halbzeitansprache jede Menge Lasst-uns-nun-Fußball-spielen-Details angemahnt hatte, musste zugeben, dass aus dem Plan ohne den zündenden Tor-Moment wohl nichts geworden wäre: „Es ist doch klar, dass eine Mannschaft in unserer Situation so ein Erfolgserlebnis dringend braucht – davon hatten wir bisher viel zu wenig.“

Immer wieder faszinierend, wie sich ein Fußballspiel wandeln kann: Aus der klar unterlegenen Mannschaft wurde plötzlich die absolut bestimmende. Die TSG war von der Rolle, jetzt war es der FCN, der Angriff um Angriff fuhr. „Wir haben nichts mehr auf die Reihe gekriegt“, sagte TSG-Trainer Evangelos Sbonias nach dem Spiel.

"Erfolgserlebnisse hatten wir viel zu wenig."

Holger Traub, FCN-Trainer

In der Wendepunkt-Szene hatten die Normannen auch eine Portion Glück gehabt, jetzt verdienten sie sich im Nachhinein das 1:2 und den Ausgleich dazu: Bobo Mayer behauptet im Zweikampf den Ball, gibt nach innen, Felix Bauer, mit dem Rücken zum Tor, nimmt an und legt für Serkan Uygun auf, und der Winter-Neuzugang trifft per Flachschuss (72.). „Danach wäre sogar das 3:2 noch drin gewesen“, meinte FCN-Verteidiger Daniel Stölzel nach dem Spiel. Aber das wäre wohl des Guten zu viel gewesen, zumal auch Backnang noch eine erstklassige Torchance hatte, doch FCN-Keeper Yannick Ellermann blieb im Eins-gegen-eins mit TSG-Stürmer Michele Varallo Sieger (76.).

Das 2:2 war wohltuend für die Moral einer gebeutelten Mannschaft, die eine dreiviertel Saison mit viel Engagement, aber wenig Ertrag hinter sich hat. Fürs Tabellenbild war das Remis wenig hilfreich: Nach dem 2:2 bleibt die Normannia Drittletzter mit vier Punkten Rückstand auf die TSG Backnang, den Viertletzten. Die TSG hat das nominell leichtere Restprogramm, der FCN immerhin noch ein Nachholspiel als Zusatz-Chance zu punkten (24. April in Pforzheim). Das Ziel bleibt es, Backnang einzufangen. Daniel Stölzel: „Unser Ziel muss der viertletzte Platz sein. Ich rechne damit, dass das der erste Nichtabstiegsplatz sein wird.“

Normannia -  Backnang 2:2 (0:1)

FCN: Ellermann - Fichter, Lämmle, Stölzel (79. Fröhlich), Iatan (58. Pfeifer) - Gnaase, Kianpour - Suddoth (76. Kolb), Mayer, Uygun - Bauer (85. Ibrahimovic).
TSG: Knauss - Geldner, Biyik, Marinic, Tichy, Leon Maier (87. Weber), Dannhäußer, Bauer (92. Doser), Loris Maier (67. Belobrajdic), Varallo (84. Wiesheu), Kienast.
Tore: 0:1 Marinic (29.), 0:2 Bauer (53.), 1:2 Gnaase (61.), 2:2 Uygun (72.).
Zuschauer: 250

Was bringt der „Moralpunkt“?

Holger Traub, FCN-Trainer: „Ich war sehr zufrieden mit der zweiten Halbzeit - in der ersten Hälfte hatte uns der Mut gefehlt. Wir kämpfen weiter. Das Restprogramm der TSG ist zwar von der Tabellensituation betrachtet das einfachere - aber zwischen den Mannschaften in dieser Oberliga kann viel passieren.“

Evangelos Sbonias, TSG-Trainer: „Bis zum 1:2 hat meine Mannschaft ein sehr gutes Auswärtsspiel gemacht, wir hatten alles im Griff. Danach haben wir nichts mehr auf die Reihe gekriegt. Beim Tor sind wir klar vom Schiedsrichter benachteiligt worden. Wenn man aber nur auf die Leistung der beiden Teams schaut, geht das 2:2 nach 90 Minuten in Ordnung.“

Martin Guba, FCN-Stammzuschauer: „Wie die Mannschaft noch den Punkt geholt hat, ist sicher gut für die Moral. Aber es bringt uns nicht weiter, Moralpunkte halten einen nicht in der Oberliga. Die Hoffnung liegt jetzt auf dem Nachholspiel in Pforzheim, das wir gewinnen müssen. Denn das Ziel muss der viertletzte Platz sein.“

Fabian Kianpour, FCN: „Schwierig zu sagen, was überwiegt, das Positive oder Negative - es sind gemischte Gefühle nach diesem Spiel. Wir können auf jeden Fall stolz sein auf unsere Aufholjagd, in der zweiten Halbzeit haben wir sehr gut gespielt“

Jannik Dannhäußer, TSG: „Das 1:2 ist durch eine klare Fehlentscheidung des Schiedsrichters gefallen. Aber dass wir dann zusammenfallen wie ein Kartenhaus, das darf trotzdem nicht passieren.“

Daniel Stölzel, FCN: „Die letzten 30 Minuten, das war mit das Beste, was wir in dieser Saison gespielt haben. Da haben wir alles rausgehauen, Der Wille war da, wir sind in die Schnittstellen gekommen - da hat man gesehen, dass wir eigentlich eine bockstarke Mannschaft haben. Unser Ziel muss weiterhin der viertletzte Platz sein. Die Mannschaften weiter oben sind zu weit weg, die sind nicht mehr erreichbar.

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